Wie Frau Gröning die Welt verändert—macht es ihr nach!

11 Jun

Heute erfahrt ihr, interessierte Leser, wie eine Frau alleine in Indien, also ganz weit weg, eine Fair—Trade-Modeproduktionsstätte errichtet hat—egal ob ihr Stonehenge nachbauen wollt, eine Diss ganz ohne Copy und Paste verfassen möchtet oder The World’s Tastiest Maulwurfkuchenfactory gründen wollt, Frau Gröning aus Mittelfranken wird euch inspirieren—fast alles, oder vieles ist möglich, ,wenn man etwas erreichen möchtem und bei Frau Gröning war es, dass sie die Welt ändern wollte—das finde ich immer noch den besten Beweggrund auf diesem Frankenstein-Gruselplaneten. Und zwar die Welt ändern im Kleinen, auch wenn es nur ein Tropfen auf dem heissen Stein ist, wenn wir alle ordentlich herumtropfen, kann sich die Welt auch ändern, das hat Frau Gröning uns gezeigt, danke dafür! Hier das Interview:
Die allererste Frage die mir auf der Zunge brennt: Wie spricht man das aus, Ju.St.ElloraDesigns, und wie entstand der Name?
„Aussprache
Ju.St. wie englisches just
Ellora – gesprochen wie geschrieben
Designs englische Aussprache

Herkunft des Namens
Ju. -> Von Jutta (mein Vorname)
St. -> Von Stefan (Vorname meines Mannes)
Ellora -> Höhlen in Indien, als Bezug zu Indien
Designs -> steht für designen, erstellen, entwickeln

Ju.St. hat für mich eine doppelte Bedeutung, zum einen steht es für die Vornamen meines Mannes und mir und zum anderen soll es im Sinne des englischen just stehen, dass es einfach, einfach so da ist.

„Ganz einfach die Mode von Jutta und Stefan aus Indien“ ist als Sinn hinter dem Namen zu verstehen.“

Was für Kleidung kann man bei Ihnen kaufen, für welche Träger und welche Kunden? (Kinder? Männer? Xxl-Frauen??)

Bei Ju.St.ElloraDesigns kann Frau jeden Alters und in (fast) allen Kleidergrößen fündig werden. Das Größenspektrum reicht von 34 bis 64. (S bis XXXXXL )
Hier findet sich eine reichhaltige Auswahl an Blusen und Tunikas in verschiedenen Schnitten, Farben und Formen.
Außerdem bieten wir bisher eine kleine Auswahl an Kleidern.
Herren finden bei uns geschlossene Hemden.
Für Kinder bieten wir Blusen, Hemden, Kleidchen und Röcke an.
Des weiteren werden wir auch bald Handtaschen und Handytäschchen anbieten.

Ihr Fair-Trade-Nähatelier gründeten Sie in Kerala, Indien, als Sie dort lebten—wie kamen Sie überhaupt ins ferne Indien und wie kam es zur Entstehung des Ju.St.ElloraDesigns-Nähateliers?
Mein Mann bekam von seinem Arbeitgeber das Angebot, als Expatriate für drei Jahre nach Indien/Kerala zu gehen. Nach reiflicher Überlegung und Abklären der verschiedenen Umstände und Bedingungen, entschlossen wir uns, dieses Angebot anzunehmen. Im April 2007 zogen wir mit unseren Kindern ( zu diesem Zeitpunkt im Alter von 1,6,7 und 15 Jahre) in das unbekannte Kerala.

Noch ist es in Indien so, dass Damen sich überwiegend traditionell kleiden, Sari bzw, Salwar Kameez.
Für den Salwar Kameez kaufen sie sich den Stoff und gehen zu einem lokalen Nähatelier. In unserer Anfangszeit in Indien entdeckte auch ich die tollen Stoffgeschäfte und entschloss mich, die traditionelle Kleidung, den SalwarKameez, auszuprobieren. Nach dem Erwerb der ersten Stoffe suchte ich eine Schneiderein in unserer Nachbarschaft auf und konnte mit Englisch und Gestik meine Wünsche äußern. Dazu muß erläutert werden, dass in Indien jeder Bundesstaat seine eigen Sprache (und Schrift) hat. Inzwischen wird zwar in den meisten Schulen der Unterricht in Englisch erteilt, die Älteren sprechen und verstehen jedoch nicht generell Englisch. In Kerala wird Malayalam gesprochen.

Schnittdirectrice Sonia Albert

Mit obenerwähnter Schneiderin, Lakshmi; entwickelte sich auch privat eine Freundschaft.
Zum weiteren Verständnis muß ich auf unseren Fahrer eingehen. Vom Arbeitgeber meines Mannes wurde uns angeraten, einen Fahrer einzustellen. Es ist nicht empfehlenswert, in Indien selbst Auto zu fahren. Die indischen Fahrgewohnheiten unterscheiden sich in vielen Punkten erheblich von den europäischen und insbesondere den deutschen. Nicht nur der Linksverkehr auch das Fahrverhalten insgesamt und das Verkehrsaufkommen lassen vom Selbstfahren abraten.
Nach ca. 6 Wochen und vier verschiedenen Fahrern (der erste war von vornherein nur für eine Woche angestellt, der zweite wechselte leider in einen anderen Job, der dritte war sehr jung und hatte Angst vor uns Europäern – jedes Mal wenn wir ihn ansprachen, zuckte er zusammen- und der vierte sprach leider kaum Englisch und hatte keine Ortskenntnis – da hatten wir mittlerweile schon mehr 😉 kam Madhu zu uns. Er hatte hervorragende Ortskenntnis, wohnte fünf Minuten von unserem Haus entfernt und sprach gutes Englisch (war längere Zeit als Touristenfahrer beschäftigt). Durch die Zusammenarbeit entwickelte sich mit der Zeit eine Freundschaft und Vertrauen.
Der nächste Punkt in der Entstehung von Ju.St.ElloarDesigns liegt in dem angekündigten Besuch aus Deutschland im Sommer 2007. Zwei nahe Verwandte kündigten sich an und beklagten sich vorab, sie wissen nicht, was sie zum Anziehen mitbringen sollen. In Deutschland sei es so schwierig, passende Kleidung in großen Größen zu finden. Entweder ist die Mode so sehr auf die Jugend ausgerichtet oder relativ teuer. Spontan antwortete ich, „Na, dann lasst euch was hier in Indien schneidern“.
Durch den Vergleich der Preise im deutschen Einzelhandel und den indischen, sowie der inzwischen erlangten Erlenntnis, wie es in der asiatischen Textilindustrie zum Teil zugeht, machte ich mir meine Gedanken, wie hier etwas getan werden könnte.

Ich besprach mich mit Lakshmi und Madhu, sammelte mit deren Hilfe Informationen bezüglich Stoffquellen, Kosten hinsichtlich Löhne, Mieten, Nähmaschinen, Garne, Nähzubehör usw.
Außerdem informierte ich mich über die indischen und deutschen Anforderungen hinsichtlich rechtlicher Gegebenheiten bezüglich Zoll, Zollnummer, Unternehmensgründung, Import, Export, Transport usw.
Nach 6-monatiger Vorbereitungszeit startete im Februar 2008 das Ju.St.ElloraDesigns –Nähatelier mit dem Ziel zu fairen Arbeitsbedingungen in Indien zu fairen Preisen in Deutschland Damenmode anzubieten.

War es ein bürokratischer Aufwand oder sind die Behörden in Indien entspannter?
Das Gründen eines Unternehmens in Deutschland ist wesentlich einfacher als in Indien.
Das deutsche Gewerbe konnte ich mit Hilfe eines Bevollmächtigten (ich selbst war ja zu diesem Zeitpunkt in Indien) eröffnen. Steuernummer und Zollnummer usw geht in Deutschland per Post bzw. Email und Vollmacht.
In Indien war es dagegen etwas schwieriger, da ich als Nichtinderin alles regeln musste.
Daher gründete ich das Unternehmen in Indien als Partnership (Partnerschaft mit Madhu) und es regelte sich alles etwas einfacher. Aber grundsätzlich empfinde ich die deutsche Bürokratie wesentlich entspannter als die die indische.

Sie bieten geregelte Arbeitszeiten, bezahlten Urlaub und bezahlte Feiertage. Geregelte Arbeitszeiten werden auch in Deutschland immer unüblicher, wo sich das der staatlichen Kontrolle entzieht bzw. wo Behörden wenig Interesse haben, nachzuhaken. Aber die gesetzliche Regelung zu bezahltem Urlaub und Feiertagen wird hierzulande wohl kaum gerüttelt werden. Wie ist das in Indien? Ist es dort branchenabhängig, oder hängt es von der Firma ab, was sagt Vater Staat der größten Demokratie der Welt dazu? Ist man da froh, wenn es überhaupt Jobs gibt?
Kenne mich mit indischen Arbeitsrecht nicht aus, hier gibt es Regeln, aber diese sind wesentlich lockerer als bei uns, es ist keine Seltenheit dass die Leute die ganze Woche von Montag bis Sonntag ohne Pause und bis zu 12 Stunden arbeiten. Möchte hier keine falschen Aussagen machen. 😉
Wieviele Mitarbeiter hat Ihre Produktionsstätte?
Im Moment arbeiten bei Ju.St.ElloarDesigns in Indien 8 Mitarbeiter
Madhu  Betriebsleiter (seit Beginn dabei)
Sonia  Cuttermaster (zuständig für Zuschnitt und neue Schnitte, seit April 2008)
Sindhu  Näherin (seit Beginn dabei)
Jiji  Näherin (seit beginn dabei)
Bindhu Saju  Näherin (seit November 2008)
Sreedevi  Näherin (seit März 2010)
Bindhu Thilakkan  Helferin (seit November 2008)
Sheeba  Helferin seit April 2010 (war zuvor in unserem Haushalt angestellt)

Hier möchte ich anmerken, dass in Indien die Fluktuationsrate sehr hoch ist, im Durchschnitt bei ca. 35 %

Wie ist so das Feedback Ihrer Mitarbeiterinnen? Wie kommunizieren Sie mit den Näherinnen, wie kommen Design und Schnittmuster zustande?
Während meiner Zeit in Indien war ich täglich im Betrieb, so dass alle Mitarbeiter mich und meine Familie als auch umgekehrt sehr gut kennen. Trotz Sprachhindernissen(die meisten sprechen nur sehr wenig Englisch) konnten wir uns immer sehr gut verständigen und kommunizieren.
Inzwischen erfolgt die Kommunikation im Wesentlichen über das Internet per eMail, Skype usw. Manchmal auch per Telefon, wenn die indischen Stromausfälle oder mangelnde Internetverbindung stören. Hier erfolgt die Kommunikation überwiegend mit Madhu. Es ist aber auch immer wieder eine Freude, wenn die Damen vor der SkypeKamera sind und kurz mit mir sprechen, soweit es die sprachlichen Möglichkeiten es erlauben.
Die Schnittmuster haben wir über die Zeit selbst entwickelt. Durch Analyse der verschieden Maßtabellen, Ausmessen von vielen Verwandten und Bekannten in Deutschland, Muster nähen und nach Deutschland schicken, Anprobieren und wieder verbessern. Mit der Zeit entwickelte ich ein Größensystem, welches inzwischen umgesetzt wird. Wobei wir hier auch ab und an Änderungen und Anpassungen vornehmen.
Zum Design, hier lasse ich mich immer wieder von deutscher und indischer Mode inspirieren, Vorschläge kommen aber auch von den Mitarbeiterinnen, immer wieder bekomme ich ein neues Modell vorgestellt. So ergänzen wir uns gegenseitig.

Zum Produktionsprozess, da gibt es sicher ein paar Besonderheiten?
Bei der Herstellung geht ein Kleidungsstück normalerweise durch drei Hände/Personen.
Im ersten Schritt bereitet Sonia den Stoff vor(Glätten), zeichnet mit Hilfe unserer Schnittvorlagen den Umriss an, schneidet das Stück zu, versieht den Zuschnitt mit den Labels und je nach Modell dem sonstigen notwendigen Material.

Dieses Päckchen holt sich eine Näherin und fertigt das komplette Stück an. Sprich alle Nähte, Einbügeln von Vlies usw.
Einmal täglich sammelt eine der beiden Helferinnen die Tagesproduktion ein, kontrolliert jedes Stück, wäscht und bügelt es.

Etwa einmal im Monat werden die Kleidungsstücke durch Madhu für den Versand nach Deutschland vorbereitet und losgeschickt.

Durch diesen Nähprozeß sind die Näherinnen in der Lage, jegliches Modell zu nähen.

Wo beziehen Sie das Material und welche Kriterien spielen da eine Rolle ?
Die Stoffe kommen zum Teil vom Großhandel vor Ort (Kochi), zum Teil aus Tamil Nadu, direkt von den Herstellern, hierbei handelt es sich um kleine Webereien.
Die Auswahl erfolgt üblicherweise nach „Gefallen“, d.h. wie fühlt sich der Stoff an, wie sind die Farben, Designs,
Gewöhnlich besorgen wir nur relativ kleine Mengen pro Stoff und Muster, so dass pro Modell und Größen nur ein Stück hergestellt wird – Kleinserie – quasi Unikat – Kundin läuft nicht ihrem Kleidungsstück über den Weg (sehr unwahrscheinlich)
Viele Stoffe können nicht nachgekauft werden

Geplant ist auch der Ankauf von Organic Cotton (Biobaumwolle), als sinnigerweise nächstem Schritt , das Angebot soll möglichst bis Ende des Jahres online sein.
Was ist denn eine Kurta? Und was ist Kalamkari?
Kurta ist das traditionelle indische bzw asiatische Herrenhemd. Es handelt sich um ein langes geschlossenes Hemd mit kurzer Knopfleiste, meist mit Stehkragen
Kalamkari ist ein traditionelles Verfahren zur Einfärbung von Stoffen. Im Batikverfahren werden in Handarbeit die verschiedenen Muster auf die Stoffe aufgetragen

Khadi nennt sich der in Dörfern in kleinen Werkstätten, meist Familienbetrieben, aus Baumwolle hergestellte Stoff. Geht auf Mahatma Gandhi zurück

Können Kunden auch Wünsche äußern für die nächste Kollektion?
Für neue Ideen bin ich immer offen.

Noch ein paar Anekdoten zum Schluss:

Während der Aufbauzeit wurde ich in Geschäften oder dem Großhandel anfangs nicht ernstgenommen- da kommt `ne Ausländerin und will Stoffe kaufen – Aha? Durch Madhu wurde ich dann, da er als Übersetzer auftrat und Mann und Einheimischer ist! dann doch ernstgenommen und bin inzwischen gern gesehen

Beim Großhandel in Kochi war ich anfangs immer „die Attraktion“ , da es in Kochi relativ wenig Ausländer gibt, Touristen kommen nicht in Großhandel und dort befindet sich. normalerweise nur einheimische Kundschaft

Einmal Saris gekauft- kam die Frage, ob ich wohl Sari trage- Meine Antwort: „Nein daraus nähen wir Blusen und Tuniken“ verurschate – großes Erstaunen:“Aber das ist doch ein Sari, Blusenstoff gibt es in der anderen Abteilung 😉 Das gleiche mit den Schuluniform – und „Vorhangstoffen“ – Schuluniformstoff ist für Schuluniform und nix anderes, schon gar nicht für Damenblusen!!
Mit der Zeit haben sich die Händler an meinen Anblick gewöhnt und heute, da ich in Deutschland bin, schicken wir uns Grüße hin und her und Fragen nach Wohlergehen der Familien.
Seit Rückkehr März 2010 bisher einmal wieder in indien gewesen.
Zu Beginn des Projekts lief der Verkauf lokal in Bad Säckingen durch Unterstützung der Familie, inzwischen läuft er sowohl online als auch und bei mir zu Hause
Ganz wichtig noch: wir haben uns auf gewebte Stoffe konzentriert, deswegen besteht das Angebot aus Blusen, Tuniken usw . und bieten wir keine T-Shirts an (keine T-Shirt-Stoffe!)
Für die, die jetzt neugierig auf die Sachen geworden sind, hier geht es zum Shop: https://justelloradesignsfairemode.diffstore.com/

Eine Antwort to “Wie Frau Gröning die Welt verändert—macht es ihr nach!”

  1. Ines Feuersenger Juni 11, 2012 um 12:53 pm #

    Das ist ja super interessant, bitte mehr Berichte dieser Art!!!!

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